Miteinander statt gegeneinander – Cool sein bedeutet mehr als einen auf cool zu machen. Eine Reportage über die Wünsche und Nöte von „Cool Kids“.

„Niemand hat das Recht, den anderen zu verletzen, zu demütigen oder auszugrenzen. Geschieht dies dennoch, erfolgt Konfrontation.“ Bei der Durchführung des sogenannten „Cool Kids Trainings“ hat dieser Leitsatz oberste Priorität. Entwickelt hat das Training Stefanie Bader. Seit über 30 Jahren befasst sich die Kampfsportexpertin (Kickboxen 4. DAN, Taekwondo 1. DAN) mit den Themen Selbstbehauptung, Selbstverteidigung und natürlich Kampfsport. Und sie bietet dazu verschiedene Kurse für Jung und Alt an.

An diesem Tag sind die Schüler*innen der 6a die „Cool Kids“, derer sich Bader annimmt. Bereits in der Vorstellungsrunde macht sie klar, wohin die Reise an diesem Tag gehen wird. Stichwort: Anleitung – es wird an diesem Tag zum omnipräsenten Schlüsselwort. Keine Plaudereien aus dem Nähkästchen oder Tuscheleien mit dem Nachbarn. Bader macht kurzen Prozess, wenn die Schüler*innen drauflos schwadronieren, anstatt sich an ihre Anleitung zu halten. „Ihr hört nicht richtig zu, ihr macht irgendwas, ohne darüber nachzudenken“, stellt sie freundlich fest.

„Was ist gut an eurer Klasse“, wirft sie in die Runde. Schweigen. Keiner der Schüler*innen kann bzw. will zu diesem Zeitpunkt etwas sagen. „Das war traurig, aber Grund genug, daran zu arbeiten“, erzählt Klassenlehrerin Sibylle Schmidt. „Ihr sagt mir nichts Gutes über eure Klasse, das überrascht mich“, fährt Bader fort. „Ihr seid nicht leise, nicht gewaltfrei, nicht hilfsbereit. Habe ich das richtig verstanden?“, fragt sie. Ein bejahendes Raunen ist zu hören. „Fühlt ihr euch wohl, wenn ihr nichts Positives über die Klasse zu sagen habt?“, bohrt Bader nach und fragt weiter: „Habt ihr kein Ziel, was ihr als Klasse erreichen wollt?“

Schnell kommt die Rede auf eine Klassenfahrt, die bisher jedoch noch in den Sternen steht, wie sich heraushören lässt. „Ihr habt kein Ziel und habt euch noch nie Gedanken darüber gemacht“, stellt Bader fest und sagt: „Man braucht aber einen Plan, um Ziele zu erreichen. Und eine Klassenfahrt ist so ein klares Ziel und obendrein noch cool, nicht wahr?“

Aber was bedeutet eigentlich cool? Die Meinungen der Schüler*innen gehen weit auseinander. Obwohl in aller Munde und längst in den deutschen Standardwortschatz eingegangen, scheint es schwierig, „cool“ auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Auf der einen Seite: „Wenn etwas Spaß macht.“ (Max), „Etwas Spannendes“ (Melissa), „Etwas Besonderes, etwas Einzigartiges.“ (Mia) – Auf der anderen Seite: „Freunden beistehen, ohne Gewalt.“ (Kannjo), „Leute sind cool, wenn sie nicht helfen.“ (Sara), „Manche sind cool und wollen damit angeben, indem sie nicht helfen.“ (Mia).

Langsam entwickelt sich ein Gespräch im Stuhlkreis und es kristallisiert sich heraus, dass „sich cool fühlen“ und „einen auf cool machen“ nicht zwangsläufig etwas mit „cool sein“ und „etwas cool finden“ zu tun hat, sondern sich sogar einander widerspricht. „Wie gut kennt ihr euch?“, fragt Bader. Fast alle Daumen im Stuhlkreis zeigen nach unten. Doch entgegen der allgemeinen Annahme kennen sich die versammelten Schüler*innen in den meisten Fällen doch besser als gedacht. Zumindest wenn es darum geht, wie viele der Mitschüler*innen Haustiere besitzen und Geschwisterkinder haben. Fast alle haben Haustiere und Geschwister. Als die Pause naht und sich die Erwachsenen herausziehen, damit die Klasse in Eigenregie ein Spiel initiieren kann, zeigt sich abermals – die Anleitung fehlt. Als es klingelt, herrschen wilde Diskussionen, die Zeit ist verstrichen, ohne gespielt zu haben.

So nimmt es Bader selbst in die Hand. Auf dem Tafelbild visualisiert sie, worum es ihr geht: „Ich bleibe bei mir“, steht in der Mitte – und zwar mit „Worten, Auge, Gedanken, Händen und Füßen“. Leichter geschrieben als getan: Beim anschließenden Spiel beweist Bader, wie leicht es ist, Menschen zu manipulieren. „Ich habe eine Fernbedienung für euch, ihr werdet das gleich selbst erleben“, verkündet sie siegessicher.

Die Schüler*innen stellen sich entlang eines dicken grünen Seils auf. Bader ist die Spielleiterin und gibt Befehle. Es gibt nur vier Befehle, die vermutlich nicht von ungefähr der Lebenswelt der Schüler*innen entspringen: Fanta: Position links der Schnur, Cola: Position rechts der Schnur, Sprite: in die Hände klatschen und Mezzomix: ein Bein links und ein Bein rechts der Schnur. Soweit so gut. Denkste. Denn nach der Aufwärmphase streut Bader geschickt Finten ein, zum Beispiel sagt sie „Fanta“ und geht einen Schritt nach rechts – zack, zwei Schüler*innen machen es ihr nach und sind raus. Denn wer einen Fehler macht, der geht – das sind die Regeln. „Glückwunsch, ihr seid cool geblieben und habt euch nicht von mir provozieren lassen. Mal schauen, wie lange ihr cool bleibt“, gratuliert Bader süffisant den im Spiel Verbliebenen, bevor sie mit einem Feuerwerk von Finten die Reihen zuckersüß lächelnd lichtet. „Ich habe es euch gesagt. Ich habe eine Fernbedienung für euch. Ich habe etwas Falsches gemacht und euch damit ausgetrickst. Selber dran schuld“, stichelt sie. „Und so wie ich, haben ganz viele Kontrolle über eure Laune. Aber eigentlich haben die keine Fernbedienung. Nein, das ist alles eure Entscheidung, ob ihr darauf reagiert oder nicht. Es ist nicht wichtig, was ein anderer sagt. Aber es wichtig, dass ihr allein Verantwortung für euer Verhalten übernehmt“, erklärt sie eindringlich und warnt, sich auf Provokation jedweder Art einzulassen: „Am besten nicht reagieren. Glaubt mir, es wird irgendwann aufhören, weil es nicht funktioniert. Man kann nicht ändern, was andere sagen und denken. Nur jeder selbst kann die Wahrnehmung ändern.“ Für Jean, die Siegerin, gibt es spontan Applaus von der Klasse – Jean strahlt, Frau Bader auch. „Es hat mir gefallen. Es hat mir Spaß gemacht. Es hat mir geholfen“, gibt Tyron zu. „Ich möchte mich ändern. Und ich möchte, dass sie wiederkommt“, wünscht sich Sara und Leonie ergänzt: „Ich fand den Tag gut, da es hoffentlich bei manchen Klick gemacht hat.“

Auch Klassenlehrerin Sibylle Schmidt ist vom Verlauf des Seminartags sehr angetan – und hat nach Rücksprache mit ihrer Klasse den zweiten Baustein des Cool Kids-Trainings gebucht. „Ich hoffe insgesamt, dass sich die Schüler*innen mit den Projektinhalten immer wieder auseinandersetzen, ihr eigenes Verhalten reflektieren, Fehler einsehen und sich dadurch allmählich ein Klassenklima einstellt, das mich mit Freude in die Klasse gehen, einen super Unterricht halten, mich stolz von „meinen Kindern“ erzählen lässt und mächtig Lust auf eine Klassenfahrt macht.“ Fortsetzung folgt.

Text: David Lemm