Vorurteile sind allgegenwärtig – mal mehr oder weniger offensichtlich, sollte man ergänzen. Wenn der alte und neue Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seinen Reden nicht müde wird, das gesellschaftliche Miteinander zu beschwören, dann sind es nicht zuletzt Vorurteile, die es zu verstehen und abzubauen gilt, um ein starkes Gemeinwesen zu garantieren.
In diesem Sinne haben es sich die beiden Workshop-Leiterinnen des Adolf-Bender-Zentrums, Marina A. Henn (36) und Marie Velten (20), an diesem Tag zur Aufgabe gemacht, die Teilnehmenden für ihre und die Vorurteile anderer zu sensibilisieren. „Es geht darum, die Schüler*innen miteinander in Austausch zu bringen. Sie sollen ihre Privilegien reflektieren“, erläutert Henn den Ansatz. Gesagt, getan. In den ersten beiden Stunden stellen sich die Schüler*innen im Plenum vor. Das mag dem ein oder anderen zunächst überflüssig erscheinen, denn in den meisten Fällen kennt man sich ja bereits. Aber der auszufüllende Zettel, der als Grundlage für die Vorstellungsrunde dient, offenbart auch bisher unbekannte Seiten. Das ist gewollt. Denn im Schulalltag bleiben diese wertvollen Aspekte nicht selten auf der Strecke. So erfährt die Klasse im Stuhlkreis bisher verborgenen Facetten übereinander, wenn sie sich respektvoll über persönliche Talente, Neigungen, Lieblingsgerichte und Träume austauscht. Alles verewigt in einem individuellen Wappen.
Nach der Pause folgt das Kartenspiel Barnga. Ein tückisches Spiel, wie sich später herausstellen wird. „Der Haken an der Sache: Es herrscht absolutes Sprechverbot“, insistiert Henn und teilt den vier Tischgruppen jeweils ein Set von 32 Spielkarten sowie je ein Regelblatt aus. Nachdem alle die Regeln gelesen haben, beginnt das Spiel. Gewonnene Stiche werden notiert. Nach ein paar Runden ist Schluss und die Gewinner wechseln in eine andere Gruppe.
Und das führt zu Irritationen. „Ich weiß, es ist gemein“, kommentiert Henn hilfesuchende Blicke einzelner Schüler*innen. Getuschel ist zu vernehmen. „Das Redeverbot einzuhalten, fällt offensichtlich manchen von euch schwer“, kommentiert Henn harsch und macht eine klare Ansage: „Es gibt keine Fragen zu beantworten.“ So sind sich die Tischgruppen sich selbst überlassen und die zweite Runde nimmt ihren Lauf. Zur dritten Runde gesellen sich nun die Verlierer einer jeden Tischgruppe in eine neue – und das Chaos ist perfekt. Betretene Minen, mürrische Blicke und Gesten, die Frustration und Missmut bekunden, dominieren.
„Ich wollte euch verwirren“, lässt Henn die in den Stuhlkreis zurückgehrten Schüler*innen wissen. „Ich habe jeder Gruppe ein anderes Regelblatt ausgeteilt und es dann ganz fies weggenommen“, bekennt sie und wirft in die Runde: „Wie ging es euch damit? Ich habe einige gesehen, die aufgebracht waren.“
„Ich habe einfach weitergespielt und verloren“, antwortet Justin (14). „Ich habe immer dieselbe Karte gelegt, als ich gemerkt habe, dass erst Karo Trumpf war und dann an der anderen Gruppe die Buben“, erklärt Dennis (14). Nicht jedem ist es aufgefallen, dass an anderen Tischen andere Regeln gegolten haben. Den meisten hingegen schon. „Ich habe einfach weitergespielt. Mir war es egal“, gesteht Romina (14). Viele anderen erging es ähnlich.
Dass dieses Spiel mit dem seltsamen Namen eine virulente Grundproblematik unserer Gesellschaft im Kleinen abbildet, wird nun auch dem Letzten klar. Und damit hat der Workshop sein Ziel erreicht. Er hat Missverständnisse und kommunikative Barrieren sichtbar und für die Schüler*innen erfahrbar gemacht. „Andere Länder, andere Sitten“, bringt Max (14) die just gemachte Erfahrung auf den Punkt. Es liegt an uns, mit Mitteln der Sprache(n) uns besser kennen und schätzen zu lernen.
Text: David Lemm