„Wir sind die Zukunft“ – Graffiti-Workshop bildet die bunte Vielfalt der Ottweiler Schülerschaft ab.

Insgesamt zwanzig Fahnen zieren einen Teil der Mauer am Schulhof. Sie befindet sich unweit des Multisportfeldes und ist ein bunter Eye-Catcher, den die Schüler*innen gerne in den Pausen aufsuchen. Gestaltet haben ihn circa zwanzig Schüler*innen aus allen Jahrgängen im Rahmen des einwöchigen Graffiti-Projekts „Wir sind die Zukunft“, das die Ottweiler Gemeinschaftsschule im Rahmen des Aktionsprogramms „Aufholen nach Corona“ für ihre Schüler*innen organisiert hat. Die teilnehmenden Schüler*innen wurden dafür eine Woche vom Unterricht freigestellt.

„Ursprünglich lautete das Motto: Fit für die Zukunft“, erklärt Jan Sahner (35), der Leiter des einwöchigen Graffiti-Workshops. „Doch als wir die Gruppe kennengelernt hatten, haben wir uns schnell umentschieden für die spannenden Identitätsgeschichten“, führt er weiter aus. „Denn die meisten der Schüler*innen haben einen Migrationshintergrund, der ihnen wichtig ist“, ergänzt er. Bereits seit achtzehn Jahren bietet der HBK-Absolvent und passionierte Sprayer Graffiti-Workshops im Saarland an. Als Street Art-Profi hat er sich einen Namen gemacht und sich unter anderem im Nauwieser Viertel in Saarbrücken verewigt. In Ottweiler wird er beim Workshop tatkräftig von seinem Freund und Kollegen Alex Freilitz (33) unterstützt.

Zunächst gilt es die Mauer mit einem satten Weiß zu grundieren, damit die Farben besser zur Geltung kommen. Anschließend wird die weiße Grundfläche in Rechtecke unterteilt – den Platzhaltern für die zwanzig Flaggen. Neben Spraydosen sind auch Maler-Kreppband und Schablonen vonnöten. Das Kreppband, um saubere Abschlüsse hinzubekommen und die selbstgefertigten Schablonen für die teilweise filigranen Symbole, die manche Flaggen zieren, wie zum Beispiel der schwarze Adler auf der albanischen Flagge oder der grüne Stern auf der syrischen Flagge.

„Ich habe das erste Mal gesprüht. Es hat mir großen Spaß gemacht“, sagt der Fünftklässler Fynn (11). Er hat die amerikanische Flagge mit ihren typischen „Stars and Stripes“ geschaffen, obwohl er „kein Amerikaner“, sondern ein waschechter „Saarländer“ ist, wie er betont. Dafür hat er mit der Schere eine passende Schablone für die Sterne angefertigt. „Jeder Stern steht für einen Bundesstaat. Und die haben wirklich viele“, erklärt er begeistert.

„Ich habe auch zum ersten Mal gesprayt und viel gelernt“, wirft Dersem (12) ein. Der Sechstklässler feiert den Workshop als schulisches Großereignis. Zusammen mit seinem Bruder Kannjo (13) hat er die kurdische Flagge auf die Mauer gesprüht. Beide sind Kurden und stolz auf ihre Herkunft und Kultur. Dass der kurdische Stern der Brüder nur sechzehn statt einundzwanzig Zacken hat, stört ihn nicht – schließlich sieht er gut aus. Ebenso wie die von ihm angefertigte türkische Flagge, für die ihn sein Graffiti-Lehrer Sahner lobt. Er ist von Dersems künstlerischen Talent und Engagement begeistert.

Am letzten Tag des Workshops widmet sich die Gruppe der bunten Verschönerung einer weiteren Mauer am gegenüberliegenden Ende des Schulhofs. Sie setzen damit auch dem Namensgeber der Schule, dem katholischen Geistlichen und Politiker Anton Hansen (1801–1875), ein Denkmal.

Die erhobene schwarze Faust ist das gut sichtbare Zeichen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit – Stichwort „black lives matter“. Doch nicht nur das. Der bunte gekachelte Hintergrund ist eine optische Reminiszenz an die LGTB-Bewegung, die sich für eine gesellschaftliche Akzeptanz unterschiedlicher sexueller Identitäten einsetzt, was den Schüler*innen durch die Workshop-Leiter vermittelt wird.

„Ich finde es super, einfach toll. Das bringt Farbe ins Spiel“, findet Kunst- und Musiklehrer Dietmar Kempf. „Die Schüler identifizieren sich mit ihrem Land und lernen gleichzeitig etwas über die verschiedenen Herkunftsländer und die Identitäten ihrer Mitschüler“, sagt er. Eine Einschätzung, die sich mit den Erfahrungen und Zielen der Workshop-Leiter deckt. Nicht die einzelnen Nationalitäten, sondern die uneingeschränkte Toleranz und der respektvolle Umgang mit allen Nationen, Kulturen und eben auch sexuellen Identitäten sind unsere Zukunft – unsere bunte Zukunft.

Text: David Lemm